Über uns


In einer Welt voller Elend und Ungerechtigkeit soll eine Gemeinschaft entstehen, in der von der Gesellschaft längst fallengelassene Menschen Hoffnung und neuen Lebenssinn finden und in Harmonie zusammenleben können. Verstossene und verwaiste Kinder sollen in der Pflegefamilie Liebe, Fürsorge und Geborgenheit erfahren, eine Schule besuchen und sich ihren Fähigkeiten entsprechend entwickeln können. Suchtkranke, missbrauchte und misshandelte Kinder sollen erfolgreich rehabilitiert und wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden.


Island Kids Philippines setzt sich seit 2007 nachhaltig und mit Nächstenliebe für diese Vision sowie für schwerkranke Menschen aus ärmsten Verhältnissen ein. Als Initiant des Hilfswerkes will ich interessierten Menschen Einblick in unsere tägliche Arbeit und die damit verbundenen Probleme, Schicksalsschläge, Erfolge und Glücksmomente geben - ich will Sie an unserer Geschichte teilhaben lassen.




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Thursday, September 29, 2011

Ende der Bauarbeiten

Wir haben unser Monatsbudget überschritten und sehen uns seit gestern mit einem leeren Konto konfrontiert. Dies hat einerseits mit unseren Patienten und andererseits mit den Umbauarbeiten im Center zu tun. Wir haben in unserer Galerie einen Boden und Wände eingesetzt und so zwei neue Klassenzimmer, eins im Parterre und eins im Obergeschoss, geschaffen. Damit ist der Platz im Center nun vollständig ausgenutzt. Dies gibt den LehrerInnen und SchülerInnen den längst ersehnten zusätzlichen Raum, der für die neue Anzahl Kinder dringend nötig wurde. Zudem erhalten unsere Sozialarbeiterinnen nun ebenfalls ihre dringend benötigten Arbeitsplätze. Auch können wir jetzt endlich unsere permanente Nähwerkstatt einrichten und mit der erneuten Produktion der Taschen aus Wertstoffen beginnen. Virgie hat bei den Bauarbeiten einmal mehr Gas gegeben, gut geplant und zuverlässige Handwerker engagiert. Jetzt wird es auch im Center wieder etwas ruhiger werden.

Wednesday, September 28, 2011

Tetanus!

Als ich gestern zu schreiben begonnen hatte, setzte sich Jeb, einer unserer älteren Jungs, neben mich. Während ich mich auf den Bildschirm und das Schreiben konzentrierte, meinte er, beinahe beiläufig, dass sein kleiner Cousin krank sei. Ich hörte mit einem Ohr zu und fragte nach, was seinem Cousin den fehle. Jeb antwortete darauf: „Er kann seinen Mund nicht mehr öffnen Kuya Thom“. Jetzt hörte auch mein anderes Ohr zu, und ich fragte mit einer gewissen Unmut in meiner Stimme, ob sich sein Cousin noch bewegen könne und ob er Krampfattacken habe. Darauf antwortete Jeb mit: „Nein, nicht so sehr, sein ganzer Körper ist versteift und manchmal hat er Atemnot“. Sekunden später liefen Jeb und ich in Richtung Mülldeponie. Während wir mit schnellen Schritten über Berge von Abfall liefen, kamen in mir Erinnerungen an Roderick, einen Jungen, den wir im August 2010 im Spital unterstützt hatten, auf. Roderick war damals an einer Tetanusinfektion erkrankt und starb nach einer Woche Intensivstation (Newsletter August 2010). IKP hatte nach dem tragischen Tod von Roderick mit seinem Tetanusimpfprogram  bei der Mülldeponie begonnen, wodurch unterdessen mehr als 300 Kinder und Jugendliche gegen Tetanus geimpft werden konnten.

Die Hütte der Familie Lagrosas befindet sich im hintersten Teil der Deponie, in einer kleinen Siedlung von etwa sechs Familien. Der fünfjährige Renante war, wie Jeb berichtet hatte, am ganzen Körper steif und konnte seinen Mund nicht mehr öffnen. Er wollte auch nichts mehr trinken, was auf eine Hydrophobie hinwies. Tetanus war bereits seit unserem Gespräch im Center in meinem Kopf, und diese Annahme wurde nun immer wahrscheinlicher. Ich fragte die Mutter, ob Renante kürzlich eine Fleischwunde gehabt habe und ob er jemals geimpft worden sei. Sie erklärte mir, dass ihr Sohn vor rund zwei Wochen einen grossen Holzsplitter im Fuss gehabt habe und er – wie auch der Rest der Familie - nie geimpft worden sei. Renante war bereits seit sechs Tagen krank, seine Muskelverkrampfungsanfälle häuften sich,  und er hatte jetzt Atemschwierigkeiten, was die Situation zusätzlich erschwerte. Der Vater wollte ihn zu einem „Hilot“, einem traditionellen Masseur bringen, was noch zusätzlich Öl ins Feuer gegossen hätte. Ich erklärte der Familie, wie schlimm es kommen könnte und dass Renante auf dem schnellsten Weg ins Spital gebracht werden müsse. Pascal holte uns mit dem Pick-up beim Deponieeingang ab und danach ging es schleunigst ins Provincial Hospital (NMMC). Das Warten dort, ein einziger Nervenkitzel. Notfälle stehen Schlange, Patienten werden auf Matten am Boden mit durch die Angehörigen selbst betätigten Beatmungsbeuteln beatmet und die Ärzte tun, was sie können; sie behandeln zahlreiche Patienten gleichzeitig und müssen zahlreiche Notfälle lange warten lassen. Es geht zu und her wie in einem Bienenhaus und das Lärmniveau ist hoch. Wenn man lange genug im Notfall warten muss, sieht man manchmal einzelne - und manchmal auch mehrere Menschen - sterben. Oft sind Angehörige bereits seit einer Weile leise am Wimmern, geht das Wimmern dann in ein Weinen oder gar emotionales Schreien über, geht es nicht mehr lange, bis der Patient mit einem Tuch bedeckt nach draussen, in einen Abstellraum hinter dem Spital gebracht wird. Der Notfall hat keine Trennwände, alles ist live, hier wird einem schreienden Kind ein Katheter gesteckt, da stossen ein Arzt und eine Krankenschwester mit etwas Mühe den Knochen eines offenen Schienbeinbruchs ins Gewebe zurück, während Angehörige versuchen den sichtlich leidenden Patienten auf dem Bett zu fixieren, und etwas weiter drüben ist ein älterer, mit dem Beatmungsbeutel beatmeter Mann in seinen letzten Zügen. Die Ärzte und das Pflegepersonal brauchen hier starke Nerven.

Tuesday, September 27, 2011

Geheilt

Gestern konnte Shyrille auf die normale Bettenstation verlegt werden, und gerade eben habe ich erfahren, dass sie das Spital heute verlassen kann. Die Familie hat ihr Schwein verkauft, die staatliche Krankenkasse nachträglich eingerichtet mit etwas Unterstützung zwei Bettelbriefe an Politiker verfasst und die Antragsformulare für den Lotteriefonds (PCSO) ausgefüllt. Der Lotteriefonds hat der Unterstützung zugestimmt und sich immerhin mit PHP 10‘000.- oder zirka CHF 200.- an der Behandlung beteiligt.

Monday, September 26, 2011

Kraft des Gebetes

Heute Abend hatten wir mit den LehrerInnen „Prayer-Meeting“. Die Lehrkräfte beten jeden Montagabend zusammen, und da ich jetzt mit meinen zwei Donnerstagnachmittagsklassen ebenfalls so eine Art Amateurlehrer bin, bete ich, wann immer es geht, mit. Es war einmal mehr sehr emotional und Tränen flossen wie Bäche. Es ist nicht einfach, unsere Art von Kids zu unterrichten. Jeden Tag fehlen mehrere Schüler, die wir jeweils einzusammeln versuchen, ein paar der Kids haben wieder mit Klebstoffschnüffeln angefangen und drohen abzustürzen. Viele haben Mühe, sich im Unterricht zu konzentrieren, die pubertierenden Mädchen drohen schwanger zu werden usw. Wir beteten für die rund zehn Prozent der Kids, die uns tatsächlich grösste Mühe bereiten. Wir beteten auch für unsere Sponsoren, unser wichtiges Team in der Schweiz, für die Lehrkräfte, die Sozialarbeiterinnen, die Mitarbeiterinnen aus der Community, die total ausgelastete und bewundernswerte Virgie, für unsere Volontäre und für mich, dass ich meiner Aufgabe besser gerecht werden kann und mir der Spagat zwischen hier und IKP-Schweiz besser gelingen möge. Ich nehme mir stets vor, mehr Zeit ins Fundraising zu investieren, ertappe mich dann jedoch immer wieder beim Herausschieben dieser so elementar wichtigen Aufgabe. Was wollen wir ohne Geld anfangen? Auch meine Tränen flossen wie Bäche. Es war seit langem wieder das erste Mal, dass ich Gott mein Herz ausschütten konnte, einfach loslassen, alle Fehler eingestehen, um Vergebung und um Führung bitten. Sich seine Schwächen ganz eingestehen und gleichzeitig auf den vertrauen, der uns soweit gebracht hat und der uns auch in Zukunft nicht im Stich lassen wird. Ich betete auch dafür, dass wir nie ein schwerkrankes Kind aus Geldmangel seinem Schicksaal überlassen müssen.

Saturday, September 24, 2011

Gebet am Spitalbett

Nach Shyrille folgten letzte Woche einmal mehr die acht Monate junge Jillian mit Lungenentzündung und neu der einmonatige Joshua mit einer Hirnblutung. In sämtlichen Fällen versuchen wir, möglichst alle lokalen Quellen sowie die geringen Mittel der Familienangehörigen selbst auszuschöpfen. Dies bedeutet für unsere Sozialarbeiterinnen und unsere Medical-Staff viel Arbeit. Ich besuche die Patienten meistens abends, wenn der Betrieb im Center eingestellt ist und die Kinder bereits zuhause sind. Ich spreche mit den Ärzten, hole Informationen zu Heilungsprognosen und wahrscheinlichen Kosten ein und erkundige mich, ob die Medikamente komplett sind. In oft sehr emotionalen Gesprächen versuche ich, die Angehörigen zu ermutigen und ihnen weitere Möglichkeiten und Hilfsangebote aufzuzeigen. Inzwischen bin ich oft auch sehr streng, insbesondere dann, wenn gegenseitige Vereinbarungen nicht eingehalten werden. Die von uns unterstützten Menschen sind häufig in einer Art Ohnmacht gefangen. Je niedriger das Bildungsniveau, desto weniger selbstsicher sind sie im Umgang mit Behörden, Spitalangestellten usw. Dies geht soweit, dass sie, anstatt beim Sozialamt und den Politikern um Hilfe zu bitten, einfach resignieren und das Sterben ihres eignen Kindes mit einer für uns schier unvorstellbaren Apathie hinnehmen. Oft ist es auch Stolz, der sie daran hindert, sich um die dringend benötigte Hilfe zu bemühen. Diese Ketten der Passivität gilt es zu sprengen, was damit beginnt, den Menschen ihr eigenes Selbstwertgefühl zurückzugeben, ihre längst verschlossenen Augen zu öffnen, sie im Glauben zu stärken und ihnen Liebe und Vertrauen zu vermitteln. Ebenso gehört aber auch das Rügen von nichteingehaltenen Abmachungen und fehlerhaftem Verhalten sowie  das Aufklären und Lehren dazu. Als ich heute mit Juvy, der Mutter von Shyrille, sprach, musste ich sie zuerst rügen, denn sie hatte keine unserer zuvor getroffenen Abmachungen eingehalten. Ich sagte ihr, dass IKP nicht sämtliche Kosten tragen könne und das Leben ihrer Tochter in ihrer Hand sei. Sie erwiderte, dass sie sich schäme zum Stadtpräsidenten zu gehen. Ich erwiderte, „was ist dir wichtiger, dich nicht schämen zu müssen oder das Leben deiner Tochter? Schau dir Shyrille an, sie ist ein wunderschönes, einzigartiges und wertvolles Kind Gottes, das mit all seinen Kräften um sein Leben kämpft. Shyrille braucht dich und deinen Mann jetzt mehr denn je zuvor. Kannst auch du für sie kämpfen?“ Die Mutter weinte und bat mich zu beten. Wir beteten zusammen für Shyrille und sangen „Ikaw ang kusog kanako“ (du bist meine Kraft). Danach setzten wir in Besayan einen einfachen Bittbrief an den Stadtpräsidenten und an den Kongressmann auf. Juvy fragte mich schliesslich, ob sie jemand begleiten könne, wenn sie am nächsten Tag den Brief überbringen würde. Ich versprach ihr, dass eine unserer Sozialarbeiterinnen mit ihr gehen werde.

Die Bootschaft ist einfach: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Wenn man Leben von Menschen transformieren will, braucht man Strategien und man muss Ziele haben, wissen, wo man mit diesen Menschen einmal ankommen will. Vor allem aber muss man sich die Namen dieser Menschen tief ins Herz schreiben und die Liebe ihnen gegenüber in sich wachsen lassen. In einem jedem Menschen – ganz egal, was dieser getan hat oder tut – eine wertvolle Schöpfung Gottes sehen, nicht den Menschen verurteilen, sondern lediglich seine Taten beurteilen und versuchen, sein Handeln positiv zu beeinflussen, das ist die Grundvoraussetzung für echte Transformation. Nächstenliebe ist der Schlüssel zu den Herzen aller Menschen, und ist man dort einmal angekommen, kann man Vertrauen aufbauen und positiven Einfluss ausüben. Liebe ist die Hauptzutat zu jedem guten Rezept. Am meisten fällt einem dies beim Umgang mit den Kindern auf. Unsere Kids mussten in ihren Leben längst zu viele Schicksalsschläge hinnehmen; ihnen braucht man nichts mehr vorzumachen. Das Einzige, was sie bewegen und motivieren kann, ist eine auf wahrer Nächstenliebe basierende Beziehung. Viele unserer Kinder gehen nicht zur Schule, weil Bildung wichtig ist für ihre Zukunft, sie kommen in unser Center und besuchen den Unterricht, weil sie dort Liebe, Geborgenheit und Verständnis finden. Sie sind bei uns, weil wir sie lieben und weil wir sie lieben, geben wir sie trotz Rückschlägen nicht auf. Fehlen ihnen eben diese Attribute, so ziehen es manche gar vor, auf der Strasse zu leben und Klebstoff zu schnüffeln. Eine enge Beziehung zu sämtlichen Kindern aufbauen und vor allem auch pflegen zu können, ist wohl unsere grösste Herausforderung, an welcher wir tagtäglich arbeiten.

Die Community organisiert sich

Heute war ein ganz besonderer Tag. Man konnte richtig fühlen, wie uns ein Durchbruch gelungen ist. Die Lehrkräfte hatten einen Plauschtag am Strand organisiert. Eingeladen waren jedoch diesmal nicht etwa Kinder und Jugendliche, sondern die Eltern unserer Kids. Der Anlass verfolgte zwei Hauptziele. Erstens, die LehrerInnen und die Eltern einander näher bringen und zweitens die Beschlussfassung für die Gründung einer Kooperative der Wertstoffsammler. Seit zwei Monaten gibt es die IKP-Parents-Teachers-Association (Eltern-Lehrer-Vereinigung). Zweck dieser Vereinigung ist die engere Zusammenarbeit von IKP und den Erwachsenen unserer Community sowie mehr Gewicht für die oft überhörten Stimmen unserer Familien. Wir wollen vor den Lokalpolitikern und vor den die Armen ausbeutenden „Kapitalisten“ im Viertel eine vereinte Stimme werden. Die als nächster Schritt geplante Kooperative soll dem erdrückenden und ausbeutenden Zwischenhandel der Junkshop-Besitzer entgegenhalten. Mit anderen Worten, die Wertstoffsammler sollen ihre Wertstoffe dereinst direkt an die Recyclingfabrik verkaufen können. Ein einzelner Wertstoffsammler kann dies nicht, eine Kooperative jedoch schon. Was den Menschen bis jetzt dafür fehlte, waren das administrative Know-How für die Finanzverwaltung und das notwendige Kapital. Zusammen mit IKP könnte beides möglich werden. Virgie führt seit 17 Jahren mehrere Geschäftszweige in einem grossen Unternehmen, sie ist intelligent und weiss, auf was es beim Business ankommt. Und das Beste, für ihr Management wird sie von den Wertstoffsammlern keinen roten Rappen verlangen. Ein Gratisseminar vom Staat soll die künftigen Mitglieder auf ihre Kooperative vorbereiten. Die Finanzen der künftigen Kooperative sollen von IKP verwaltet werden. Nach dem Umzug der Deponie an ihren neuen Standort wird das Wertstoffsammeln vorerst weitergehen. Die meisten Menschen planen in der Community zu bleiben, ein paar sprechen davon, in die Berge zurückzuziehen und andere wollen der neuen Deponie folgen und sich dort erneut illegal ansiedeln. Die Sukis (Zwischenhändler/Junk-Shop-Owners) wollen die Wertstoffsammler künftig mit ihren LKW’s von der Community zur neuen Deponie führen. Sie werden sich weiterhin an ihnen reichverdienen und die schlechtgebildeten Menschen mit Kleinkrediten zu 20% und mehr Zinsen pro Monat erdrücken. Die Kooperative kann dies ändern. Wenn das Führen der Administration und das Verwalten der Finanzen – zumindest zu Beginn - von IKP übernommen wird, sind die Sukis ersetzt. Was jetzt noch fehlt, ist ein Lagerplatz für die angesammelte Ware und ein Lastwagen für den Transport derselben. Dafür braucht es etwas Startkapital, welches die Wertstoffsammler nicht selber aufbringen können. Wenn der Plan aber gelingt, erhalten die Wertstoffsammler einen wesentlich höheren Preis für ihre mühsam gesammelten Wertstoffe. Die Kooperative macht dann immer noch Gewinn, kann damit ihre Ausrüstung unterhalten, Löhne an die Lastwagenfahrer bezahlen sowie in Notfällen limitierte Kredite zu geringen Zinsen an ihre Mitglieder ausschütten. Die Wertstoffsammler werden dadurch unabhängiger, können ihren Lebensstandard erhöhen und ihr Schicksaal durch die Kooperative selber in die Hand nehmen. Dies, zumindest solange Wertstoffsammeln in Cagayan noch zum gewohnten Bild gehört, was sich wohl nicht so schnell ändern wird.

Beide Ziele des Anlasses erreichten wir. Die Lehrer und die Eltern hatten riesigen Spass, machten Spiele, blödelten zusammen im schmutzigen Meerwasser herum, sangen Karaoke und tanzten zusammen. Virgie und ich kamen erst sehr spät dazu. Wir hielten unsere Reden, oder besser gesagt, versuchten, den Eltern die bereits bekannte Idee ans Herz zu legen und sie von ihren Ängsten zu befreien. Virgie erklärte zuerst wie eine Kooperative funktioniert, welche Vorteile sie bieten kann und wie die künftige Zusammenarbeit von IKP und den Eltern unserer Kids aussehen könnte. Meine Botschaft war einmal mehr, dass wir es nur gemeinsam, mit Gottes Hilfe, ohne negative Hintergedanken und Eifersüchteleien Einzelner und mit Liebe und Respekt füreinander schaffen können. Ich sprach in Visayan und war überrascht davon, wie mir die Worte in den Mund gelegt wurden. Ich wies auf das Know-How von Virgie und unseren professionellen MitarbeiterInnen hin, die sich allesamt tagtäglich uneigennützig und voller Überzeugung für die Familien im Viertel einsetzen, und sich nicht, wie etwa die Kapitalisten der Gegend, an den Armen bereichern, sondern ihnen eine lebenswertere und unabhängigere Zukunft ermöglichen wollen. „Zusammen sind wir stark. Seht, wir haben Lehrerinnen, Sozialarbeiterinnen, und wir haben Virgie, die seit 17 Jahren eine Führungskraft in einem grossen Unternehmen mit unterschiedlichsten Geschäftszweigen ist, sich bestens in den unterschiedlichsten Gewerben auskennt und es dank ihrem Wissen, ihrer Erfahrung und ihrer Weisheit, allem voran aber dank ihrem Herzen und ihrem Gottvertrauen geschafft hat, IKP-Philippines aufzubauen und zu führen. Wir brauchen uns nicht zu fürchten, denn wenn wir, IKP und ihr alle, zusammenhalten und für ein gemeinsames Ziel kämpfen können, dann werden wir dieses Ziel mit Gottes Hilfe auch erreichen.“ Zum Schluss sagte ich: „Wenn ich durch unserer Community gehe, sehe ich so viel Leid und Probleme. Dreck, verschmutzte Luft, Krankheiten und Gewalt sind allgegenwärtig. Ich sehe aber auch die Bewohner, und in euch sehe ich eben wertvolle, einzigartige und liebenswerte Mitmenschen, geschaffen nach dem Ebenbild Gottes. Von Anbeginn war es nicht gedacht, dass wir in Armut, Gewalt und Krankheit leben. Das Paradies war uns gegeben und nach diesem müssen wir stets streben.“ Dann fuhr ich fort: „Und wenn ich all dies sehe, die Menschen und all ihre Probleme, bleibe ich manchmal stehen, schliesse meine Augen und träume vom Paradies auf Erden. Dort sehe ich euch alle wieder. All die wunderbaren und einzigartigen Menschen leben jetzt friedlich miteinander, um ihre Hütten fruchtbare Gärten anstelle von Abfall, frisches Wasser und gesunde Kinder in Schuluniformen und beim Spielen. Alle haben, was sie brauchen und geht es einem von euch schlecht, so kümmern sich die anderen um ihn. Ich bitte euch, öffnet doch eure Augen für das dringend zu Verändernde in unserer Gemeinde, verschliesst sie nicht, sondern lasst uns zusammen nach Wegen für eine bessere Zukunft für uns alle suchen. Resigniert nicht und gebt nicht auf, denn zusammen und mit Gottes Hilfe ist wahrhaftig nichts unmöglich. Zwischendurch haltet inne und verschliesst für kurze Zeit eure Augen, um zu träumen. Träumt vom Paradies auf Erden, denn dort wollen wir hin, und nur wer sein Ziel kennt, kann dieses auch erreichen. Ich liebe euch und ich möchte, dass auch ihr einander alle gegenseitig liebt. Denn Liebe ist das Stärkste, sie ist stärker denn Hass, stärker denn alle Probleme und alle Krankheiten zusammen. Gott ist Liebe.“ Virgie sprach danach noch einmal, diesmal jedoch nicht über das Technische der Kooperative. Sie sprach zum zweiten Mal die Herzen der Zuhörer an, sodass jetzt, nach dem wir beide lange zu den zahlreichen Müttern und Vätern gesprochen hatten, eine Totenstille herrschte – im Wissen, dass unsere Botschaften angekommen waren, drückten wir einander hinter unseren Rücken die Hände.

Wednesday, September 21, 2011

Denguefieber

Nach meinem kurzen und obendrein noch durch Krankheit geprägten CH-Aufenthalt bin ich wieder heil in CDO gelandet. Es tut mir leid, dass ich euch während meinem unangemeldeten Besuch nicht alle sehen konnte. Es sollte ein Überraschungsbesuch werden, bei welchem ich in erster Linie meinen Grossvater an seinem 90. Geburtstag besuchen wollte. Dank Merve konnte ich auf www.kayak.com einen äusserst günstigen, wenn auch etwas umständlichen Flug buchen. Anstatt einem gemütlichen Mittagessen mit meinem Grossvater lag ich also an dessen Jubiläum mit knapp 41° Fieber im Inselspital. Mein sechstägiger Aufenthalt dort war von starken Kopfschmerzen und permanentem Fieber über 40 Grad geprägt. Ich vermutete bereits zu Beginn Denguefieber, was später durch Labortests bestätigt werden konnte. Wir hatten kurz vor meiner Abreise zahlreiche Denguefälle in Cagayan, wobei auch ein betroffenes Kind aus unserer Community von IKP im Spital unterstützt wurde. Dengue ist eine Tropenkrankheit, die durch die tagaktive Tigermücke übertragen wird. Die Krankheit verläuft in den meisten Fällen wie eine schwere Grippe mit sehr hohem Fieber und einer starken Reduktion der Blutplättchen – in meinem Fall sanken letztere von normalen ca. 130‘000 auf 50‘000. Dengue kann sehr gefährlich werden, nämlich dann, wenn der Blutdruck absackt und/oder es zu inneren Blutungen kommt. Bei diesen kritischen Fällen spricht man vom hämorrhagischen Denguefieber, welches durch Schock zum Tode durch Herzstillstand führen kann. Vielleicht ist es Ironie des Schicksals, dass wir in CDO bereits am Tag nach meiner Ankunft mit einem solchen Fall konfrontiert wurden und ich einmal mehr schnell entscheiden musste. Noch nicht ganz erholt von meiner Reise und vom Denguefieber begab ich mich ins City Hospital. Während ich zügig auf den Spitaleingang zulief und mich dabei auf das Display meines Mobiltelefons konzentrierte – ich schrieb der Sozialarbeiterin – stiess mein Kopf unverhofft gegen ein herunterhängendes T-Eisen der Nottreppe. Sogleich wurde es warm auf meiner Stirn und bald lief mir Blut in die Augen. Anstatt die Patientin zu besuchen, musste ich mich somit zuerst selber behandeln lassen. Eine Krankenschwester entfernte das Haar im Bereich der Wunde, wusch das Blut weg, desinfizierte die blutende Stelle und wies mich an, auf den Arzt zu warten. Ich lief stattdessen weg und begab mich auf die Bettenstation, wo die dreijährige Shyrille Reyes im Fieberwahn lag. Ihre Ärztin kannte ich bereits bestens. Sie erklärte der Familie, dass Shyrille jeden Moment sterben könne, da ihr Blutdruck instabil sei und sie an inneren Blutungen leide; beides Anzeichen für ein Dengue-Schock-Syndrom. Shyrille benötigte dringend Intensivpflege, musste sediert und an eine Beatmungsmaschine angeschlossen werden. Nur so würde es möglich sein ihren Blutdruck mit den entsprechenden Medikamenten stabilisieren zu können. Vom Katheter floss rotgefärbter Urin in einen am Bett befestigten, transparenten Beutel. Auch im Stuhl hatte Shyrille Blut, wie uns die Ärztin weiter unterrichtete. Noch während wir ihren Ausführungen folgten, musste Shyrille Blut erbrechen, worauf ihre Mutter verzweifelt in Tränen ausbrach. Ich blieb sachlich, auch wenn es mir das Herz zerriss. Dann nahm ich den Vater mit nach draussen und sprach zu ihm. Ich erklärte ihm die Regeln, dass er bei sämtlichen Angehörigen um Geld betteln müsse, dem Stadtpräsidenten und dem Kongressmann einen Bettelbrief schreiben und mit unserer Hilfe beim Philippinischen Lotteriefond um Unterstützung bitten müsse. Ich erklärte ihm, dass er und seine Frau die Verantwortung für ihre Tochter hätten und wir die Kosten nicht tragen könnten. Es war nicht sicher, ob Shyrille überleben würde. Klar war jedoch, dass Shyrille, wenn nicht umgehend in ein ICU (Intensive Care Unit) verlegt, wohl bald sterben würde. Nachdem die Bedingungen klar waren, rief ich die frühere Ärztin von Varve (Spezialistin für Pedia Critical Care, eine von vier auf ganz Mindanao) an und bat um einen Intensivplatz im Madonnahospital. Zwei Stunden später hing Shyrille sediert an einer Beatmungsmaschine.

Friday, September 2, 2011

Steiler Weg hin zur Transformation

Kürzlich war ich in der Hütte von Rociel Quidlat, einem Mädchen, das mit 14 Jahren schwanger wurde und danach bei uns die Schule abbrach. Rociel war kurz zuvor in unserem Center und bat mich um Hilfe. Jillian, ihre stark unterernährte, fünf Monate junge Tochter, lag mit Lungenentzündung und Atembeschwerden im „Duian“, einer Art Hängematte. Vor der Hütte brannte ein Abfallhaufen, und als ich die Hütte betrat, stand ich in dichtem Qualm, sodass selbst ich husten musste. Die ebenfalls sehr junge Grossmutter schaukelte das Kind hin und her und rauchte dazu Zigaretten. Als ich dies sah, verlor ich einmal mehr die Fassung (Details werde ich hier nicht erläutern). In diesem Moment hätte ich am liebsten gesagt, schaut selber und handelt endlich verantwortungsbewusst. Doch der Anblick des kleinen unschuldigen Kindes und letztendlich auch das Mitleid mit den beiden Frauen liess mir keine andere Wahl, und so verbrachte ich meinen Abend einmal mehr im Spital. Dabei führte ich jedoch ernsthafte Gespräche mit Rociel in Sachen Familienplanung, Verantwortungsbewusstsein und Gesundheitsprävention. Solche Ereignisse sind leider an der Tagesordnung und längst nichts mehr Besonderes. Es ist die Realität und wer in einer solchen Realität aufwächst, ändert sich nicht von einem Tag auf den anderen. Das oft destruktive Verhalten der Slumbewohner ist das Resultat von fehlender Bildung, fehlender Wertschätzung des eigenen Lebens und fehlender Lebensperspektiven. Auf einen Nenner gebracht ist es Armut in allen Lebensbereichen. Dabei wollen wir niemandem, weder dem Staat noch den Armen selbst, die Schuld geben – denn letztendlich sind wir alle daran schuld. Vielmehr wollen wir die Menschen konstruktiv ermutigen und befähigen, ihre Situation aus eigener Initiative und mit eigener Kraft – vielleicht auch mit etwas Hilfe - zu verändern. Es ist nicht unser Ziel, auf immer und ewig „Helfer“ zu bleiben. Die Transformation der Bewohner, allen voran der Kinder in unserem Programm, ist unser Ziel. Die Menschen unserer Community sollen Eigenverantwortung übernehmen, sich selbst helfen und einmal ganz auf eigenen Beinen stehen können. Mädchen und Jungs von der Mülldeponie sollen zu verantwortungsbewussten Eltern, SozialarbeiterInnen, LehrerInnen, Krankenschwestern, Handwerkern usw. heranwachsen und ihren Familien, ihrer ganzen Community und schliesslich anderen bedürftigen Menschen ebenfalls bei deren Transformation helfen. Ganzheitliche und nachhaltige Entwicklungsarbeit. Die Transformation eines ganzen Armenviertels, hin zu einer Gemeinschaft mit einem bescheidenem aber ausreichenden Lebensstandard in einer sauberen, familienfreundlichen Umgebung, ohne Alkohol- und Drogensucht, ohne Kriminalität, ohne Gewalt in der Familie, mit Schulbildung und Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendlichen ist ein langer Prozess. Das „Shalom“ der Gemeinschaft, die Harmonie der Menschen untereinander und im Umgang mit ihrer Umgebung beginnt mit dem gemeinsamen Traum, gemeinsamen Zielen und gemeinsamen Taten. Der Weg hin zu dieser positiven Verwandlung ist steil und nicht selten sehr frustrierend. Umso wichtiger ist es, dass unser Team und unsere Kids sowie die Menschen der Community, welche ihre Augen nicht verschliessen sondern die Wahrheit bereits erkannt haben, fest zusammenhalten. Der Glaube daran, dass wir nicht zufälligerweise, jedoch aber als Teil von Gottes Plan in diese Community gekommen sind, gibt uns allen die Kraft, nicht von unseren Zielen abzulassen.