Über uns


In einer Welt voller Elend und Ungerechtigkeit soll eine Gemeinschaft entstehen, in der von der Gesellschaft längst fallengelassene Menschen Hoffnung und neuen Lebenssinn finden und in Harmonie zusammenleben können. Verstossene und verwaiste Kinder sollen in der Pflegefamilie Liebe, Fürsorge und Geborgenheit erfahren, eine Schule besuchen und sich ihren Fähigkeiten entsprechend entwickeln können. Suchtkranke, missbrauchte und misshandelte Kinder sollen erfolgreich rehabilitiert und wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden.


Island Kids Philippines setzt sich seit 2007 nachhaltig und mit Nächstenliebe für diese Vision sowie für schwerkranke Menschen aus ärmsten Verhältnissen ein. Als Initiant des Hilfswerkes will ich interessierten Menschen Einblick in unsere tägliche Arbeit und die damit verbundenen Probleme, Schicksalsschläge, Erfolge und Glücksmomente geben - ich will Sie an unserer Geschichte teilhaben lassen.




Für ausführliche Informationen besuchen Sie unsere Homepage

Tuesday, December 27, 2011

Eine Woche nach Washi

In Cagayan sind wir seit Tag eins nach dem Sturm mit dem Verteilen von Hilfsgütern beschäftigt. Island Kids Philippines setzt freie Spendengelder, das heisst Spenden die nicht zweckgebunden sind, zur Soforthilfe in den Katastrophengebieten ein. Wir ziehen es auch in Erwägung, später einen Beitrag zum Wiederaufbau von einfachen Häusern für Betroffene der ärmsten Bevölkerungsschicht zu leisten. In mehreren Verteilaktionen konnten wir bis dato Hilfsgüter an insgesamt 1‘769 betroffene Familien verteilen. Abgegeben werden von IKP Esswaren, Kleider, Kochtöpfe, Teller, Becher, Löffel, Decken, Liegematten, Moskitonetze, Seifen, Waschmittel, Zahnbürsten und Zahnpaste. Bei unseren „Relief Operations“ arbeiten wir jeweils eng mit den Verantwortlichen der Evakuationscentren oder den jeweiligen Zuständigen der betroffenen Gebiete, darunter auch mit Polizeiangehörigen,  zusammen. An Heiligabend, konnten wir 400 Hilfspakete mit jeweils 1 Moskitonetz (Familiengrösse), 1 Seife, 1 Päckchen Waschpulver für Kleidung, 3 Zahnbürsten und 3 Sachets mit Zahnpaste an insgesamt 400 Familien verteilen. 329 dieser Pakete wurden im Zeltlager von Tibasak und der Rest an Familien ausserhalb des Lagers verteilt - jede Familie im Lager konnte berücksichtigt werden. Die Verteilung erfolgte von Zelt zu Zelt, wobei wie gehabt Listen geführt wurden. Tibasak ist eine der am schlimmsten betroffenen Gegenden in Cagayan de Oro.

Die Viertel Tibasak (vorne) und Kala-Kala (hinten) nach der Flut 

Tibasak (vorne) und Balulang (hinten) nach der Flut

Zeltlager von Tibasak
Ganze Quartiere wurden hier von den gewaltigen Wassermassen regelrecht weggewalzt. In unmittelbarer Nähe des Lagers, welches an ein Flüchtlingscamp erinnert, werden immer noch 50 Menschen vermisst. Noch nie in meinem Leben habe ich etwas Derartiges gesehen. Das Quartier vor dem Evakuationscamp war ein gemischtes Wohnquartier, in welchem Angehörige der Arbeiterklasse, Städtische Mitarbeiter sowie Slumbewohner gelebt haben - letztere lebten direkt am Flussufer. Als wir zusammen mit Jugendlichen des Camps durch das weggespülte Quartier beim Fluss liefen, kam uns immer wieder dieser unverwechselbare, süsslich modernde Gestank von verwesenden Tierkadavern und von Menschenleichen, die man selbst eine Woche nach dem Unwetter noch nicht bergen konnte, entgegen. Hier hatten die Wassermassen auf einer Fläche von rund 2 Hektaren alles zerstört und keinen Zementblock auf dem anderen belassen. Hie und da sahen wir eine freistehende Toilettenschüssel eines besseren Hauses, ein Plattenboden eines Fundamentes oder ein liegender Betonstrommast. Autos, Haushaltsgegenstände oder persönliche Gegenstände waren keine zu sehen – meterhohe Schlammberge. Überlebende sprechen von Sekunden, in denen die Wasserwalze ihre Häuser überrollt habe. Der Brei aus Wasser, Steinen, ganzen Bäumen und Schlamm sei nicht fliessend sondern rollend über das ganze Quartier gefegt. Überlebt hätten nur jene, die es auf die Dächer der vereinzelt stehengebliebenen Häuser beim Quartiereingang, rund  300 Meter vom Flussufer entfernt, geschafft hätten. Selbst dort sei das Wasser bis zum Dach angestiegen und sie alle hätten Todesängste ausgestanden. Einige seien auf Strommasten oder auf Bäume geklettert, es sei jedoch kein Baum und kein Mast stehen geblieben. Zehnjährige Mädchen erzählten uns, wie sie überleben konnten und wie Verwandte und Nachbarn den Tod gefunden haben. „Kurz bevor ihr angekommen seid, haben sie meinen zehnjährigen Nachbarn gefunden. Er lag unter einem Baum, und als sie ihn hervorziehen wollten, ist ihm der Arm abgefallen“, erzählte eines der Mädchen. Ihr vierjähriger Cousin sei auch umgekommen.  Dieser sei ganz gelb gewesen, habe einen riesigen Bauch gehabt und extrem stark gestunken, wusste ein anderes zu berichten. In einem anderen Lager hatte uns ein älteres Ehepaar berichtet, wie sie auf eine Kokospalme geklettert seien und dort in der Baumkrone bis zum Morgen ausgeharrt hätten. Der Baum sei stark hin und her gependelt, und um sie herum seien gleiche Bäume mit Menschen beladen von den Fluten mitgerissen worden. Sie hätten viele Schreie gehört, diese seien jedoch nach wenigen Sekunden abrupt verstummt.  Ich blickte den Mann und seine gebrechliche Frau an und stellte mir die Frage, wie dieses alte Paar es auf Baumkrone geschafft hatte…….


Akasya Street Brgy. Carmen (nahe Stadtzentrum)
Im Flussdelta des Cagayan Rivers befindet sich eine Insel, auf welcher sich einst ein Armenviertel befand, geblieben ist eine kleine Sandbank. Während bereits über 1000 Tote geborgen werden konnten, werden immer noch mindestens 1100 Menschen vermisst. Es war das schlimmste Unwetter, das diese Region je gesehen hat. Die Stadt hat auch nach einer Woche noch kein fliessendes Wasser. Als Evakuationscenter werden zum grössten Teil noch die öffentlichen Schulen genutzt. Diese sind total überfüllt und die Hygieneverhältnisse sind prekär. In einer Woche sind die Schulferien vorbei, was dann mit den zehntausenden Obdachlosen in den Schulgebäuden geschehen soll, ist noch nicht klar.
Evakuationscenter City-West-School
Es gibt aber auch immer wieder glückliche Momente, wie etwa am Tag drei nach dem Sturm, als Überlebende vor den Küsten der Inseln Bohol und Siquihor gesichtet wurden. Sie hatten die Flut wie durch ein Wunder überlebt und wurden auf Kühlschränken, Bäumen usw. weit aufs Meer hinausgetrieben. Oder ein junges Mädchen, das vom Familienhund gerettet werden konnte, bevor dieser erschöpft ertrank. Was uns alle beeindruckt, ist die Art und Weise, wie die Betroffenen ihre Schicksale annehmen. Kaum jemand klagt, immer wieder hören wir den Satz: „bahala ang Balay, bahala mga Gamits, basta buhi pa“, was etwa so viel bedeutet wie, „vergiss unser Haus, vergiss unsere Gegenstände, wichtig ist, dass wir leben.“  Wo man auch hinkommt, ist man willkommen; die Betroffenen berichten offen über ihre traumatischen Erlebnisse, sie zeigen einem wo ihr Haus einmal stand, wo sie sich in Sicherheit bringen konnten und berichten, wer von ihrer Familie oder von ihren Nachbarn weniger Glück hatte. Viele bedanken sich für die abgegebenen Gegenstände und laden einem gar ein, von ihrer Notration zu essen. An Heiligabend wurde trotz allem Weihnachten gefeiert. Betroffene sassen in den Ruinen ihrer Häuser, mit Kerzen als einzige Lichtquellen in den stockfinsteren Stadtteilen, die Geisterstädten gleichen, und mit den abgegebenen Mahlzeiten als Festtagsschmaus. Vereinzelt wurden von der Flut verschonte Schweine geschlachtet und auf dem offenen Feuer als Spanferkel gebraten. Kinder und Jugendliche spielen trotz ihrer traumatischen Erlebnisse ausgelassen miteinander, was ihnen beim Verarbeiten der traumatischen Erlebnisse hilft. Eine Gruppe von Kindern fragte mich, ob ich nach dem Verteilen der Hilfsgüter noch mit ihnen spielen wolle – es kommt einem so vor, als ob die Kinder die Evakuationslager als Pfadilager betrachten. Bei den Verteilaktionen kommt es kaum zu Streitigkeiten oder Gedränge. Die Menschen organisieren sich meistens gleich selber, stehen in eine Reihe an und bewahren die nötige Geduld. Trotz widrigster Umstände nimmt man das Schicksal an, beklagt sich kaum und versucht stets, das Positive zu sehen - bewundernswert. Menschen, die nichts mehr haben, sagen immer wieder: „dann fangen wir eben wieder bei null an, Hauptsache wir leben noch“ – für Letzteres bedanken sich viele bei Gott.